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Sexuelle Interaktionen und Beziehungen im Netz
aus Geschlechterperspektive
Nicola Döring
Vortrag auf dem 2. IMD-Kongreß
am 13. Juni 1998 in Frankfurt/Main
Update: Sept. 1998
Abstract
Sexuelle Interaktionen via Computernetz haben in der breiten
Öffentlichkeit kein so gutes Image. Sie werden nicht selten als kalte,
entmenschlichte Surrogat-Kontakte hingestellt, mit denen sich allenfalls vereinsamte
männliche Singles abgeben, die dabei obendrein die Nutzerinnen sexuell belästigen oder
gar virtuell vergewaltigen. Da es seit jeher ein zentrales Anliegen feministischer
Sexualkritik ist, sexuelle Gewalt in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen
aufzudecken, mag die ubiquitäre Besorgnis um die Unversehrtheit der Netznutzerin
zunächst wie eine begrüßenswerte Sensibilisierung für sexuelle Grenzverletzungen
erscheinen.
Auf den zweiten Blick ist jedoch Skepsis geboten: Aus feministischer
Sicht gibt es auf sexuellem Gebiet neben dem defensiven Anliegen, unerwünschtes
Verhalten von Männern zu kritisieren und zu verhindern, auch den offensiven
Impetus, den vielfältigen Sexualitäten von Frauen und Mädchen Gehör und Geltung zu
verschaffen, eigenes Begehren und Verlangen zu erkunden und zu artikulieren - ohne dabei
im voraus auf eine sog. "weibliche Sexualität" festgelegt zu werden, wie sie
("ganzheitlich, liebevoll, beziehungsorientiert") oft klischeehaft einer
sogenannten "männlichen Sexualität" ("genitalfixiert, aggressiv,
vergnügungsorientiert") gegenübergestellt wird. Eine Betrachtungsweise, die sich
auf den defensiven Diskurs konzentriert, will mit Nachdrücklichkeit auf Mißstände
aufmerksam machen und der Bagatellisierung sexueller Grenzverletzungen entgegenwirken.
Problematisch ist es jedoch, wenn die defensive Perspektive verabsolutiert wird.
Dann reproduziert feministisches Denken nämlich patriarchale Muster (verweist "die
Frau" auf ihren angestammten Objekt- und Opfer-Status) und läßt keinen Raum für
das, was Frauen und Mädchen (trotz widriger Umstände) selbstbestimmt sexuell tun, tun
wollen oder tun könnten.
Die einschlägige Literatur zu sexuellen Interaktionen im Netz
stammt fast ausschließlich von Autorinnen. Sie würdigen das erotische und sexuelle, das
emotionale und kreative Potential dieser neuen Interaktionsform, betonen den Aspekt der
Sicherheit und wenden sich explizit gegen das Heraufbeschwören von Bedrohungsszenarien im
Netz. Der Vortrag referiert, wie und wo sich Frauen und Mädchen aktiv an erotisch-sexueller
Kultur im Netz beteiligen und dabei ihre Handlungsspielräume erweitern. Diesen
lustvollen und herausfordernden Aktivitäten wird der Internet-Diskurs gegenübergestellt,
in dem sich diverse Autoren, aber auch einige Autorinnen, ideologisch darauf festlegen,
daß Sex im Netz in erster Linie männlich und gewaltförmig sei. Warum diese Konstruktion
theoretisch und empirisch fragwürdig und zudem sexual- wie netzpolitisch kontraproduktiv
ist, wird ebenso diskutiert wie die Frage, warum sie so beliebt ist.
Einige Stimmen von Autoren... (überwiegend
abgeneigt)
- Ich glaube nicht, daß heute viele Menschen Erfahrungen mit
Cybersex haben. Er ist vor allem ein studentisches, ein mittelschichtiges, ein männliches
Phänomen [...] Man kann Cybersex benutzen, um andere Menschen zu treffen; aber wenn man
sie nicht trifft und man loggt sich in diese kleinen Mud-Spiele ein und kommuniziert
explizit sexuell mit anderen - was ist sexuell daran, Worte einzugeben?
(Ken Plummer, 1997, Telling Sexual Stories, Gespräch mit Gunter Schmidt, S. 74f. In:
Zeitschrift für Sexualforschung, Jg. 10, Heft 1)
- Ob sein Gesicht voller Pickel ist, kann ich nicht sagen, da ich
Oliver nur aus den sexuellen Oasen des Cyberspace kenne; die ich übrigens unter dem
albernen und daher Männer wie Fliegen anlockenden Pseudonym Thelo Velyrita - The lovely
Rita - bereiste. Doch zweifellos ist Oliver ein Musterexemplar jener testosteronsatten
Teenager, die die Hot Chat-Räume des Cyberspace bevölkern [...] Von Modems wissen sie
alles, von Damen nichts.
(Gundolf Freyermuth, 1996, Cybersex, S. 264. In: S. Bollmann & C. Heibach, Hrsg.,
1995, Kursbuch Internet. Mannheim: Bollmann Verlag)
- Schon heute gibt es eine noch begrenzte Zahl von Freaks, die Nacht
für Nacht in ihren Single-Haushalten vor dem Computer sitzen und über CompuServe oder
Internet mit Datenbanken, Mailboxen, aber auch mit einzelnen Zielpersonen kommunizieren.
Sogar eine ebenso risikolose wie arme Sexualität ist für diese einsamen Freaks möglich.
(Peter Glotz, 1995, Chancen und Gefahren der Telekratie, S. 49. In S. Bollmann, Hrsg.,
1995, Kursbuch Neue Medien. Mannheim: Bollmann Verlag)
- Der Netzwerk-Sex drängt das Ganze nun wirklich auf den puren
Vorgang der Spannungsreduktion zurück.
(Klaus Volpert, 1985, S. 99. In: Volpert, K., 1985, Zauberlehrlinge. Die gefährliche
Liebe zum Computer. Weinheim: Beltz Verlag)
- Zwei Psychotherapeuten warnen vor den Gefahren von Online-Romanzen:
"Here are 11 warning signs of becoming over-stimulated and crossing the
boundaries from flirting to overt sexuality on line."
(David N. Greenfield & Al Cooper, Self-Help and Psychology Magazine)
- Ausnahmen bestätigen die Regel: Florian Rötzer spricht nachdenklich
"Von der Lust,
vernetzt zu sein":
Das Faszinierende an der teletechnisch vermittelten Begegnung mit anderen Menschen
besteht vor allem darin, daß man sich mit dem Körper nicht gemeinsam mit anderen
Verkörperten in einem wirklichen Raum befindet, sondern daß das Geheimnis der Ferne
bestehen bleibt, so nahe der andere einem auch kommen mag.
(Florian Rötzer, 1996, Von der Lust, vernetzt zu sein. Cybererotik, Telepolis, http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/archiv1996.html)
Einige Stimmen von Autorinnen... (ziemlich angetan)
- Ein sehr persönliches und instruktives Buch über verschiedene
Varianten von Cybersex und die damit zusammenhängenden psychologischen Fragen stammt von Cleo Odzer und heißt Virtual Spaces - Sex and the cyber citizen.
Die Aufmachung ist etwas reißerisch, der Inhalt eine gute Mischung aus Reflexion und
Provokation :-)
- Fredrika Gers
erforscht die Phänomene des Netzes mit einem bemerkenswerten methodischen Ansatz, der
zuweilen als anteilnehmende Beobachtung, aber auch als Feldbettforschung
bezeichnet wird. In ihren Texten beantwortet sie so komplexe Fragestellungen wie Braucht der Mensch eine
Homepage? oder Sind
Netze erotisch?. Zudem gibt sie wohlmeinende Ratschläge, wie man/frau mit Online-Beziehungskisten
und Cybersex
glücklich wird. In ihrem Roman "Netzjagd"
(Online-Buch!, leider nur ASCII-Version) gönnt sie der Heldin ein paar aufregende Stunden
im Netz. Und für die, die sich das alles gar nicht vorstellen können: Zwei nette
Log-Files (deutsch und englisch) liegen auf ihrer Homepage parat (FSK 18 Jahre ;-)
- Gabriele Farke schildert in
"Sehnsucht Internet" (1998, Smart Books) ihre eigenen Erfahrungen mit
Online-Romanzen. Das Buch hat quasi dokumentarischen Charakter und präsentiert
chronologisch die ausgetauschten Emails und die Chat-Gespräche (keine Sorge: alles
anonymisiert und mit dem schriflichen Einverständnis der Beteiligten). Die unverkennbare
Authentizität ist schon ziemlich berührend. Wer für Love Stories empfänglich ist, sei
gewarnt: hoher Schmachtfaktor! Enttäuschend allerdings, daß die Protagonistin einfach
nicht in der Lage ist, Cybersex so zu praktizieren, wie es sich gehört: kalt und
entmenschlicht. Mittlerweile gibt es nicht nur eine eigene Domain zum Buch (www.HexenKuss.de), sondern auch eine Fortsetzung.
- "Liebe auf den ersten
Klick" - um die emotionalen Aspekte von Online-Romanzen geht es im Roman von Carola Heine. Sie bietet auf ihrer sehr umfangreichen
Homepage auch selbstgeschriebene erotische
Geschichten sowie sehr kritische Bemerkungen zum Cybersex-Verhalten einiger
Netznutzer. Besonders hübsch ist der Kinderschutz-Disclaimer, den sie ihrem "Adult
Material" vorgeschaltet hat: "Du bist also sicher eines der vielen neun- bis
zwölfjährigen Kinder mit Modem, die sich auf die Suche nach Pornographie im Internet
begeben haben. Das Schicksal hat Dich in meine Textwüsten geführt und nun sitzt Du
verzweifelt nägelknabbernd vor dem Monitor und fragst Dich ängstlich, ob Erwachsene
wirklich sowas tun - sich anfassen, ablecken, aneinander reiben und sogar im selben Bett
schlafen, ohne ihre Eltern zu fragen. Ja, das tun sie [...]."
- Wie sich eine leidenschaftliche Romanze zwischen zwei Frauen per Chat
anbahnt - das erzählt der Roman "Mach
mal halblang, Babe" - dass hier auch Feldbettstudien die Datenbasis bilden, kann
frau sich denken. Nicht umsonst wird auf der her2her-Site (http://www.her2her.ch/) das Chatten gepflegt.Und hier
eine weitere Pappenheimerin: Foxx
schwört auf ihren Virtual Lover.
Zudem hat sie an einem höchstinteressanten dänischen Avatar-Projekt teilgenommen: Women With Beards
- Zum Schluß noch Diagnostisches: Bevor Sie im Netz Ihre Unschuld
verlieren - machen Sie lieber den NetSex Purity
Test - er stammt von einer Expertin
(Lizz Sommerfield)
Das bittere Ende:
Pannen beim heterosexuellen Netsex
Merke!
Viel besser noch als Cybersex
ist Doppelkorn
und zwar auf ex
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